MOTORSPORT AKTUELL, 09.12.1992

Dan Knutson im Gespräch mit Alain Prost:
"Will nicht an den WM-Titel denken"


Was kannst du bis jetzt über den Williams FWI5 sagen?
Ich lerne jedesmal wieder etwas mehr über den Wagen. Ich wachse mit dem Auto, gewissermassen. Für mich ist es sehr wichtig, so viel als möglich zu fahren. Dabei bleibe ich bei Tests meist unter meinen Möglichkeiten, weil ich mich dann besser auf das Fahrzeug konzentrieren kann. Mit der ganzen Elektronik komme ich gut zurecht, ich verstehe die Zusammenhänge. Den Motor konnten wir hinsichtlich des kommenden RS4B bereits verbessern, das Ansprechverhalten ist optimaler geworden. Zum FW15 kann ich nur sagen: Er ist schon heute besser als der FW14B. Gleichzeitig muss ich vorsichtig sein, denn wir haben neue Reglemente, also ist der Vergleich nicht ganz unproblematisch.

Was denkst du über die 15- Zoll-Reifen?
Es gibt schon einen Unterschied, aber speziell mit frischen Pneus ist er ziemlich gering. Ich finde das Auto in den Kurven komfortabler als zuvor. Auf den Geraden sind wir etwas schneller. Das ist alles.

Für dich bedeuten die schmaleren Reifen also kein Sicherheitsrisiko?
Nein, obschon ich zuerst erschrocken war: 25 Prozent schmalere Reifen, das ist gewiss zuviel, dachte ich. Immerhin fahren wir mit über 700 PS. Ein richtiger Nachteil ist aber lediglich, dass die neuen Pneus nach einer gewissen Zeit stärker abbauen, weil sie sich mehr aufheizen. Bereits jetzt – bei mildem Wetter – haben wir hohe Reifentemperaturen. Wenn wir später mehr als 200 Liter Sprit an Bord haben und unter hochsommerlichen Bedingungen fahren, könnte das ein Problem werden. Die Reifen an sich sind grossartig, Goodyear hat irrsinnig schnell auf die Regeländerung reagiert.

Wir fühlst du dich körperlich nach einem Jahr Pause?
Ich habe mich seriös vorbereitet und bin in besserer Verfassung denn je. Ich hatte jede Menge Zeit für ein umfangreiches Training. Dabei habe ich meine Liebe zum Radsport entdeckt. 1nzwischen hocke ich fast jeden Tag auf dem Rennrad. Ich hatte die Nase voll vom Joggen, der Rücken tat mir immer weh und die Knie auch. Am Sonntag vor den Estoril-Tests bin ich zum Beispiel den Mont Ventoux hochgestrampelt.

Wann sehen wir dich an der Tour de France?
(Alain lacht schallend) - So weit bin ich noch nicht. Aber momentan habe ich riesigen Spass am Radeln. Und ein exzellentes Training ist es obendrein, denn die modernen Formel 1 sind zusehends anstrengender zu fahren, selbst unter dem neuen Reglement.

Hast du Nackenprobleme?
Der Nacken ist ein Bereich, an dem du während des Jahres nicht viel arbeiten kannst. Da hilft nur eines: fahren, fahren, fahren. Estoril ist für den Nacken die brutalste Strecke. Deshalb habe ich für Reifentests den Helm mit Bändern fixiert. Wenn du zu müde bist, kannst du keine richtigen Ergebnisse mehr mitteilen. Die Resultate würden verfälscht, und der Sinn der Tests wäre dahin.

Wer kann 1993 Williams ernsthaft gefährden?
Es ist nie gut, zu optimistisch zu sein. Derzeit scheint Williams ungefährdet. Aber ich war schon einmal in der Situation, als wir mit Ferrari im Winter wie die kommenden Weltmeister ausgesehen haben, der Titel ging dennoch flöten. Denk an die Situation beim Ungarn-GP: Da wurde der scharfe Sprit verboten. Bei Renault führte das neue Benzin zu Vibrationen, das wiederum ergab Probleme mit der Hydraulikpumpe der Aufhängung, und die Zuverlässigkeit war dahin. Solche Dinge kannst du nie voraussehen.

Wen siehst du als gefährlichste Konkurrenten?
Benetton wird immer stärker, weil in diesem Team inzwischen viele exzellente Leute arbeiten. Ausserdem rüsten sie technologisch gewaltig auf – Halbautomatik, Active-Suspension, ABS. Die Frage bleibt: Werden sie es schaffen, die Technik zu nutzen und ihren hohen Stand an Zuverlässigkeit zu halten? Wenn sie das schon im Februar hinkriegen, werden wir ein Problem haben.

Bricht für dich eine Welt zusammen, wenn dir der WM-Titel 1993 entgeht?
Das hängt davon ab, wie die Saison verläuft. Ich habe vor einem GP-Jahr nie zuviel an den Titel gedacht, das bringt dich nur durcheinander. Du musst in Stufen denken: Gerade jetzt müssen wir den Wagen so weit wie möglich voranbringen. Dann werden wir versuchen, Rennen zu gewinnen. Man sollte nicht zu weit vorausdenken. Ich finde es auch für ein Team schlecht, darüber nachzudenken, wie weit man nun vor der Konkurrenz ist. Jeder sollte versuchen, das Beste herauszuholen. Alles andere ergibt sich von selber.

Du warst immer ein Fahrer, der die Technik geliebt hat. Nun gibt es Piloten wie Nigel Mansell oder Gerhard Berger, die die Technik einfrieren wollen. Wie denkst du darüber?
In Sachen Traktionskontrolle haben sie recht – der Fahrer fühlt weniger. Es wird einfacher für die mittelmässigen Fahrer, sie geben einfach Gas. In anderen Bereichen bin ich nicht der Meinung, dass man Technik einbremsen sollte. Das Problem ist nur, dass die Technik den Unterschied über Sieg oder Niederlage ausmacht. Wir müssen uns fragen: Was wollen wir mit der Formel l'? Sollen wir auf den Stand von 1970 zurückkehren? Aus sportlicher Sicht wäre dies wünschenswert, weil die Rennen damals spannender waren. Man muss aber in grösseren Dimensionen denken: Wenn die Technik eingefroren wird, werden sich die Werke zurückziehen, weil sie kein Spielfeld für Forschung und Entwicklung mehr haben. Das heisst: Keine Werbung mehr mit Rennsiegen. Und das heisst: Kein Geld mehr. Wenn wir die Werke verlieren, verlieren wir Fans, das Interesse der TV-Anstalten wird erlöschen, Zeitungen schreiben weniger. Das ist eine sehr gefährliche Spirale. Wir müssen einen Kompromiss finden. Und der lässt sich nur austüfteln, wenn alle mitreden können. Wir sollten eine grosse Kommission haben: Vertreter der Werke, auch solcher, die erst vor der Fl-Tür stehen wie Audi oder Mitsubishi. Vertreter von Sponsoren und vom Fernsehen, von den Fahrern und den Journalisten. Die sollten alle an einem Tisch sitzen und reden. Heute entscheiden eine oder zwei Personen, und alle anderen sind nicht einverstanden, sie beklagen sich öffentlich, das ist sehr schlecht fürs Image der Formel 1.

Wie könnte man die Show verbessern?
Wir müssen uns etwas für 1994überlegen. Bislang sind änderungen immer zu spät gekommen, es gab zu wenig Zeit zum Reagieren. Und am schnellsten reagieren immer die Spitzenteams. Damit ist das alte Kräfteverhältnis doch gleich wieder gegeben. Wir sollten die Technik sanft bremsen, nicht alles verbieten, wir sollten vor allem an der Aerodynamik arbeiten und den Abtrieb verringern – das würde helfen. Vor allem aber müssten wir die Rennstrecken auf Vordermann bringen. Viele heutige Pisten sind nicht gut genug für die Formel l. Ein Beispiel: Hier in Estoril sind die Autos am Ende der Geraden mit einer Bodenfreiheit von 1 bis 2 cm unterwegs. Die rechte Strassenseite am Ende der Geraden ist damit tabu, denn hier hat es arge Buckel, und mit einer derart geringen Bodenfreiheit hebst du sofort ab. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir erhöhen die Bodenfreiheit auf 5 cm oder wir ebnen die Piste auf Billardtisch-Niveau. Nur so könnte man hier überholen. Auf vielen Strecken kannst du nicht überholen, weil abseits der Ideallinie zuviel Dreck liegt, denn die Organisatoren haben es nicht für nötig gehalten, die Piste ordentlich reinigen zu lassen. Vielleicht sollte man die Fahrer etwas öfter nach ihrer Meinung fragen. Dann gäbe es auch mehr Überholmanöver.

Auf neuen Strecken wie Kyalami gibt es fast keine Punkte zum Überholen...
Stimmt, und das ist komplett lächerlich. Wenn ich eine Strecke entwerfen müsste, so würde ich mindestens zwei Stellen einbauen, wo man bequem einen Gegner ausbremsen kann. Ich würde eine lange Gerade planen und dann eine Kurve wie die Tarzan in Zandvoort, mit viel Sturzraum. Die Kurve dürfte ruhig überhöht sein. Wenn du auf engen Pisten fahren musst, bucklig und dreckig, vor dir eine Betonmauer – kein Wunder wagen die Fahrer keine riskanten Manöver. Wenn ich daran denke, welche Summen für die Werbung investiert werden, so verstehe ich beim besten Willen nicht, warum man nicht einen verhältnismässig geringen Betrag in die Rennstrecken steckt. So viele Leute beklagen sich über die Formel l, aber sie tun nichts, um die Situation zu verbessern...




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