SPORT AUTO, 01.08.1991

ALAIN PROST: Prost Scriptum (5)


Die Formel 1 produziert ständig Schlagzeilen. Alain Prost blickt für sport auto hinter die Kulissen, kommentiert, kritisiert und denkt über sein Metier nach. Der Franzose sagt in sport auto, was Sache ist. Er meint...

... zum neuen Ferrari 643:
Das neue Auto ist aerodynamisch ein Fortschritt, leichter abzustimmen und in schnellen Kurven sowie Schikanen angenehmer zu fahren. Leider hat der 643 einige Unarten vom Vorgänger geerbt. Auf Bodenwellen ist das Auto immer noch sehr nervös. Das beruht auf einem Problem mit den Stoßdämpfern und auf dem Zusammenspiel zwischen Mechanik und Aerodynamik. Unter dem Strich haben wir gegen die Williams im Moment keine Chance. Wir liegen auf einer Ebene mit McLaren. In Rennabstimmung mit vollen Tanks sind wir sogar stärker.

... über die Strecke in Hockenheim:
Hockenheim ist viel zu gefährlich geworden, speziell die drei Schikanen. Um schnell zu sein, muß man dort über die Randsteine fahren. Das tut einem jedesmal leid. Die Autos springen dabei bis zu 30 Zentimeter in die Luft. Das provoziert Aufhängungs- und Reifenschäden, wie sie Senna hatte.

... über die Attacken in der italienischen Presse und Umberto Agnellis Kritik, Senna wäre besser für Ferrari:
Es gibt in Italien vier oder fünf Journalisten, die schreiben, was sie wollen. Sie treten die Wahrheit mit Füßen. Es wird immer wieder behauptet, Jean Alesi könne sich wegen meiner Vormachtstellung nicht entfalten. Dabei weiß jeder, daß ich noch nie in meiner Karriere einen Nummer-eins-Status gefordert habe. Alesi und ich haben absolut gleiches Material. Sie kritisieren auch meine Rennen in Magny-Cours und Silverstone, und loben Alesi gleichzeitig in den Himmel. Gut, Silverstone war nicht gerade mein Meisterstück. Aber wenigstens habe ich die Punkte geholt, Alesi nicht. Dann fordert die Presse in Italien immer wieder Senna. Er fährt angeblich mit jedem Auto auf den besten Startplatz. Nur erklärt jetzt keiner, warum er die Williams nicht schlagen kann. Wenn du jeden Tag lesen mußt, sogar von Umberto Agnelli, daß Senna eigentlich der bessere ist, dann tut es irgendwann weh. Ich will in Ruhe arbeiten, um Auto und Motor nach vorne zu bringen. Es ist nicht meine Schuld, wenn weder das eine noch das andere funktioniert. Für meine Arbeit, fünf Tage die Woche Rennen, Testen, Fabrikbesuche, bekomme ich nur Kritik zu hören. Deshalb habe ich Ferrari gesagt: Wenn sie lieber einen anderen Fahrer wollen, wenn die unfaire Behandlung nicht aufhört, dann ist bei mir Schluß. Ich verzichte auf meinen Vertrag für 1992, ich verzichte auch auf meine Gage. Ich fühle mich dann nicht mehr gebunden.

... über sein Rennen in Hockenheim:
Uns fehlt es vor allem beim Beschleunigen an Motorleistung. Das wirkt sich im Training schlimmer aus als im Rennen. Da hat mich Senna aufgehalten. Als ich in der ersten Schikane an ihm vorbei wollte, hat er mich nach außen abgedrängt. Ich bin in den Notausgang gerutscht und konnte nicht mehr anfahren. Wahrscheinlich war etwas mit der Kupplung kaputt.

... zum Zweikampf mit Senna:
Das nächste Mal wird er erleben, daß ich auch aggressiver fahren kann. Da werde ich mehr riskieren und nicht mehr Rücksicht auf seine Situation in der Weltmeisterschaft nehmen. Senna ist ein Mensch, mit dem man keinen Frieden schließen kann. Ich habe es mehrfach versucht, aber es ist nie gelungen.

... dazu, daß sich das Kräfteverhältnis an der Spitze der Formel 1 im 14-Tage-Rhythmus ändert:
Die Topteams machen zwischen jedem Rennen Fortschritte. Wer heute gewinnen will, muß auf allen Gebieten perfekt sein. Williams hatte von Beginn an das beste Chassis, aber die Autos waren nicht zuverlässig. Deswegen haben sie die ersten fünf Rennen verschenkt. McLaren ist plötzlich mit einem Motorenproblem konfrontiert. Das reicht aus, um Senna am Siegen zu hindern. Man darf heute keine Schwächen mehr zeigen. Weil die Topteams permanent am Chassis, dem Fahrwerk, den Motoren und der Zuverlässigkeit arbeiten, der eine etwas findet, was der andere nicht hat oder umgekehrt in die falsche Richtung arbeitet, ändert sich das Gesicht der Formel 1 von Rennen zu Rennen.

... zu den Motorproblemen von Honda:
Die Krise von Honda ist mir ein Rätsel. Es kann passieren, daß mal ein Rennen danebengeht, aber von Honda war ich es gewohnt, daß sie spätestens beim nächsten Rennen darauf reagiert haben. Diesmal scheint das Problem ernster zu sein. Ich kann mir nur vorstellen, daß die Honda-Leute im letzten Jahr gedanklich schon mit der Formel 1 Schluß gemacht hatten. Später haben sie ihren Plan wieder geändert, und vielleicht waren sie in der Phase dazwischen nicht voll bei der Sache, was sich negativ auf die Entwicklung des V12 ausgewirkt haben könnte.

... zur Bedeutung des Kraftstoffs:
Das Benzin hat eine rennentscheidende Rolle übernommen. Bei den heutigen Formel-1-Motoren, die sich sehr nah an der Grenze des technisch Machbaren bewegen, kostet es viel Zeit und Geld, mit klassischen Methoden ein paar PS zu finden, Viel schneller ist das mit Spezialbenzin zu bewerkstelligen. Da holen die Kraftstoffexperten im Zusammenspiel mit den Motoreningenieuren in relativ kurzer Reaktionszeit zehn bis 20 PS heraus. Das Benzin bestimmt heute praktisch den Sieger. Im Training braucht man den Sprit, der die meisten PS bringt, im Rennen den Kraftstoff, der den Motor am längsten am Leben erhält.

... zu dem Vorwurf, daß Ferrari und Honda mit der Motorenlieferung an weitere Teams an Durchschlagskraft verlieren:
Bei dem Wettbewerb, wie wir ihn heute in der Formel 1 sehen, wäre es besser, sich auf die eigenen Probleme zu konzentrieren. Die Motorenhersteller beliefern andere Teams, um wegen der hohen Kosten die Produktion der Motoren einigermaßen rentabel zu gestalten. Was Ferrari angeht, so befremdet es mich etwas, wenn ein anderes Team als Ferrari mit den Zwölfzylindern aus Maranello herumfährt. Das ist ein Stilbruch.

... dazu, daß John Barnard ohne Vertrag in der Formel 1 herumsitzt:
John ist ohne Zweifel der Beste auf seinem Gebiet. Wer Barnard gehen läßt, ist, egal was vorher passierte, selbst schuld. Die Zusammenarbeit mit einem wie John Barnard wird nie einfach sein. Er will seine Vorstellungen durchsetzen, weil er am besten weiß, was für den Erfolg nötig ist. John hat einen starken Charakter, er ist unheimlich motiviert und nimmt seine Arbeit ernst. Leute, die nur aus Gründen der Selbstdarstellung in der Formel 1 sind, tun sich mit ihm logischerweise schwer. Aber das kann nicht der Fehler von Barnard sein.

... Könnten Sie sich als Rennleiter eines Formel-1-Teams vorstellen, Ayrton Senna als Fahrer zu verpflichten?
Ich hätte nicht das geringste Problem damit.

... Nach Ihrer Durststrecke von nunmehr zehn Rennen ohne Sieg - bereuen Sie es, zu Ferrari gegangen zu sein ?
Ich denke nicht allzuoft an diesen Negativrekord. Mir ist viel wichtiger, dafür zu arbeiten, daß wir bald wieder gewinnen können. Das Problem ist ja nicht, daß ich zehn Rennen ohne Sieg bin, sondern daß ich im Moment kein Auto habe, mit dem ich gewinnen kann. 1982 zum Beispiel habe ich in neun aufeinanderfolgenden Rennen immer geführt, bin aber wegen technischer Probleme ausgefallen. Ich hatte aber wenigstens das Gefühl, gewinnen zu können. Im Augenblick fährt den Ferrari kein Fahrer im Starterfeld auf Platz eins. Das ist es, was mir zu denken gibt.



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