SPORT AUTO, 01.06.1991

ALAIN PROST: Prost Scriptum (3)


DIE FORMEL 1 PRODUZIERT STÄNDIG SCHLAGZEILEN. ALAIN PROST BLICKT FÜR SPORT AUTO HINTER DIE KULISSEN, KOMMENTIERT, KRITISIERT UND DENKT ÜBER SEIN METIER NACH. DER FRANZOSE SAGT IN SPORT AUTO, WAS SACHE IST. ER MEINT...

... ZU DEM AUSRUTSCHER IN IMOLA:
Höchstwahrscheinlich bin ich wegen Aquaplaning rausgerutscht. Ich will in den dritten Gang schalten, da dreht sich das Auto hinten weg. Im selben Augenblick stirbt mir der Motor ab. Eigentlich läßt sich der Ferrari im Regen ganz gut fahren. Nur wenn viel Wasser auf der Straße ist, wird es kritisch. Wir haben das Auto im Heck auf sehr geringe Bodenfreiheit gesetzt. Da kann es passieren, daß der Wagen mit dem Unterboden wie ein Surfbrett auf dem Wasserfilm schwimmt. Ich kann mich erinnern, daß mir das gleiche Mißgeschick fast einmal an der Boxenausfahrt bei 50 Stundenkilometern passiert ist.

... ÜBER DIE ENTSCHEIDUNG DES VERANSTALTERS VON IMOLA, DEN START NICHT ZU VERSCHIEBEN, OBWOHL ABZUSEHEN WAR, DASS SICH DAS WETTER BESSERN WÜRDE:
Das verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht. Gut, das Fernsehen pocht auf Einhaltung der Startzeit, doch sollten sich die Fernsehanstalten auch einmal überlegen, daß sie dem Zuschauer besseren Sport hätten bieten können, wenn das Rennen eine halbe Stunde später auf trockener Fahrbahn gestartet worden wäre. So waren ausser den McLaren nach zehn Runden alle Favoriten aus dem Rennen. Natürlich sagen die Fahrer, die später in die Punkte gekommen sind, die Bedingungen beim Start seien in Ordnung gewesen. Das ist aus Gründen der Sicherheit ziemlich verantwortungslos. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber eines Tages wird sich nach dem Start ein Auto mitten im Feld drehen. Dann haben wir den Unfall, an den keiner zu denken wagt.

... ZU DER HETZJAGD DER ITALIENISCHEN PRESSE NACH DER NIEDERLAGE IN IMOLA:
Ich bin einiges gewohnt in dieser Beziehung, aber das war das Schlimmste, das ich je erlebt habe. Die Kritik war in keinster Weise konstruktiv, sondern einfach böswillig, mit dem einzigen Ziel, uns fertigzumachen. Was mich betrifft, so ignoriere ich die italienische Presse völlig. Ich rede nicht mehr mit ihnen, und ich lese ihre Geschichten auch nicht mehr. Wenn man von Leuten kritisiert wird, die wissen, wovon sie schreiben, dann kann man mit dieser Kritik leben. Aber die Berichte der italienischen Journalisten sind oft ein Produkt ihrer Phantasie. Leider hilft es nicht viel, wenn man keine Zeitungen liest. Die Leute im Team lesen sie, und du kriegst sie am nächsten Tag zu hören. Ferrari nimmt die Presse sehr ernst, und das beeinflußt unsere Leistungen.

... ZU SEINEM AUSSPRUCH IN EINEM FRANZÖSISCHEN WOCHENMAGAZIN: ALLES, WAS FERRARI FEHLT, IST EIN RON DENNIS:
Moment! So habe ich das nie gesagt. Der Wortlaut war folgendermaßen: Ron Dennis ist in der Formel 1 wahrscheinlich der beste Teammanager. Er ist sicher der beste für ein englisches Team. Ob er für Ferrari genausogut sein würde, müßte sich zeigen. Man kann mit einer italienischen Mannschaft nicht so arbeiten wie mit einer englischen. Man muß zuallererst einmal ihre Mentalität verstehen und sich darauf einstellen.

... ÜBER DAS ERFOLGSGEHEIMNIS VON RON DENNIS:
Er ist ein Organisationstalent, und er hat alle Abteilungen in seinem Team unter Kontrolle. Ron packt die Probleme einzeln an, er vermischt nicht das eine mit dem anderen. Ausserdem beobachtet er seine Angestellten sehr genau und weiß deshalb, wie er sie motivieren kann. Es wird oft erzählt, daß die menschliche Seite seine Schwäche sei, weil er kalt und hart ist. Das stimmt nicht. Er respektiert die Arbeit seiner Leute und wird deshalb auch von allen im Team als Führungsfigur akzeptiert. Als ich zum Beispiel 1988 in Silverstone ausgestiegen bin, weil das Auto im Regen kriminell zu fahren war, hat er mir den Rücken gestärkt. So etwas hebt das Selbstvertrauen. Ein Rennen später in Hockenheim hat es wieder geregnet, und ich bin ein ziemlich gutes Rennen gefahren.

... ZU DEN TECHNISCHEN PROBLEMEN DES FERRARI 642, UND WIE SIE IN DEN WOCHEN NACH DEM GP BRASILIEN GELÖST WURDEN:
Wir haben das Auto deutlich verbessert, sind aber immer noch nicht dort, wo wir hinwollen. Speziell auf Bodenwellen ist der Ferrari unheimlich nervös. Mit vollen Tanks macht sich diese Schwäche nicht so bemerkbar. Deshalb war ich in Monte Carlo im ersten Renndrittel der Schnellste, solange ich freie Bahn hatte. Je weniger Benzin an Bord ist, um so kritischer benimmt sich das Auto.

... ZU DEM RENNEN IN MONTE CARLO:
In der Anfangsphase hatte ich das beste Auto im Feld. Nigel Mansell hat mich aufgehalten. Ich hätte eineinhalb Sekunden pro Runde schneller fahren können. Als ich an Nigel vorbei war, begann das rechte Vorderrad Probleme zu machen. In Linkskurven fühlte sich das Auto komisch an. Ich habe mich darauf eingerichtet, Platz drei zu halten. Kurz vor Schluß blockierte das Rad. In den Boxen haben wir weitere Zeit verloren. Ein Teil hatte sich unter dem Auto verhakt, und ich konnte nicht losfahren. Das paßte irgendwie ins Bild. In Monte Carlo ist einfach alles schiefgelaufen.

... ZU DEN ZUKUNFTSAUSSICHTEN:
Wenn wir pro Runde drei bis vier Sekunden langsamer wären, müßte ich verzweifeln. Unter optimalen Bedingungen sind wir aber gar nicht so weit vom Gewinnen weg; was uns fehlt, ist ein Sieg. Das würde das Vertrauen und die Motivation in der ganzen Mannschaft zurückbringen. Um zu gewinnen, müssen wir einen Platz in der ersten Startreihe herausfahren. Das ist wegen der aerodynamischen Probleme mit wenig Benzin an Bord im Moment etwas schwierig. Wir setzen unsere Hoffnungen deshalb auf einen neuen Ferrari, der bis zum Grand Prix von Frankreich fertig sein wird. Dann werden wir sehen, ob Senna noch so leichtes Spiel hat.

... ZUR LAGE IN DER WELTMEISTERSCHAFT:
Realistisch gesehen: Der Vorsprung von Senna ist riesig. Aber solange nicht alles verloren ist, schreiben wir uns nicht ab. Ein Sieg kann das Blatt wenden.

... ZU SEINER EIGENEN MORAL IN DEN SCHWIERIGEN ZEITEN:
Der Druck von außen, vor allem verursacht durch die Presse, schlägt mir aufs Gemüt. Wir sollten bedenken: Die Formel 1 ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern ein Sport. Wenn man Niederlagen zu einem Drama hochstilisiert, macht man sich selbst nur verrückt. Am Samstag vor dem Grand Prix in Monte Carlo habe ich mich deshalb zu ersten Mal in den letzten zwei Jahren entspannt und bin entgegen meinen Gewohnheiten spät ins Bett gegangen. Wenn du jeden abend bis neun Uhr Probleme wälzt und überlegst, wie der Ferrari schneller wird, verlierst du den Blick für die Realität. Da tut abschalten mal ganz gut.

... NACH WELCHEM ZEITRAUM WECHSELN SIE IHREN HELM?
Aus Sicherheitsgründen wechsle ich ihn nur nach einem Unfall. Ich habe trotzdem immer fünf bis zehn Helme dabei. Es gibt spezielle Helme dabei. Es gibt spezielle Helme für das Rennen und für Testfahrten. Ich wechsle die Helme häufig, weil ich mich beim Fahren wohl fühlen will. Da spielen solche Kleinigkeiten wie ein sauberer Helm eine Rolle. Das ist so, wie wenn man in ein schönes fein herausgeputztes Auto steigt. Man fährt viel motivierter damit als mit einem heruntergekommenen.



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