AUTO MOTOR UND SPORT, 01.03.2000

"Heute ist es leichter"



Alain Prost feierte 1980 sein Formel 1-Debüt auf McLaren. Heute führt er einen Rennstall. Prost-Pilot Nick Heidfeld steht kurz vor seinem ersten Grand Prix. auto motor und sport war bei diesem außergewöhnlichen Interview dabei.

Heidfeld: Was ist für dich der größte Unterschied in der Formel 1 seit 1980?
Prost: Es hat sich eigentlich alles geändert, aber der Änderungsprozess verlief gerade in technischer Hinsicht nicht linear. Es gab große Schritte, denen ein paar Jahre Stillstand folgten.

Heidfeld: Das musst du mir erklären.
Prost: Es gab die Turbo-Ära, dann die WingCar-Ära, dann das Elektronik-Zeitalter. Alles kam in Schüben. Die Entwicklung verlief nie kontinuierlich.

Heidfeld: Wie war das in der Zeit, als du mit den aktiven Autos gefahren bist?
Prost: Ich mochte diese Zeit nicht. Aus Fahrersicht war es gut, dass diese Autos verboten wurden.

Heidfeld: Warum?
Prost: Alles hing von einem oder zwei brillanten Computerspezialisten im Team ab. Wer sie hatte, fuhr vorne mit. Ein gutes aktives Fahrwerk hat sämtliche Aerodynamikfehler am Auto kaschiert. Für den Fahrer war es eine andere Welt.

Heidfeld: Musstest du gegen deine Instinkte ankämpfen?
Prost: Exakt. Ein mittelmäßiger Fahrer konnte so gut sein wie ein guter Pilot. Die Elektronik hat alle Ecken und Kanten im Fahrstil weggebügelt.

Heidfeld: Trifft das auch auf die Traktionskontrolle zu?
Prost: Nicht ganz. Sie nivellierte fahrerische Unterschiede ein bisschen, aber nicht in dem Maß, wie viele glauben. Es gab nämlich Unterschiede, wie man sich die Traktionskontrolle zu Nutze machte. Wer sich voll darauf verließ, war langsamer.

Heidfeld: Findest du, dass heute mehr Elektronik in den Autos sein sollte? Bei meinen ersten Formel 1-Tests konnte ich noch ein bisschen mit dem Differenzial herumspielen. Ich fand das gut. Aber jetzt gibt es im Cockpit außer Fahren nicht mehr viel zu tun.
Prost: Solange der Fahrer in eine Technologie mit eingebunden ist, dann bin ich für Elektronik. Das Differenzial ist ein gutes Beispiel dafür. Du hast Recht. Es ist schade, dass diese Möglichkeit wegfällt. Das aktive Fahrwerk war eine völlig andere Sache. Da warst du als Pilot in den Händen der Software-Experten. Sie haben das Auto für dich abgestimmt. Sie mussten nicht mal mit dir reden, denn sie sahen am Computer, was das Auto machte.

Heidfeld: Aber lag es am Ende nicht doch am Fahrer? Für die guten lag der Grenzbereich höher als für die schlechten.
Prost: Das schon, aber die Unterschiede waren geringer.

Heidfeld: Sind die Autos von heute leichter oder schwerer zu fahren als zu deiner Zeit?
Prost: Viel leichter. Die Autos haben heute weniger Abtrieb, weniger mechanischen Grip, gute Bremsen, Servo-Lenkung, halbautomatische Getriebe, fahrbare Motoren. Ich konnte das selbst spüren. Nach meinem Rücktritt Ende 1993 habe ich eineinhalb Jahre kein Formel 1-Auto mehr bewegt. Als ich mich dann in Silverstone zum ersten Mal wieder in einen McLaren setzte, war ich überrascht, um wie viel einfacher der zu fahren war als der Williams von 1993. Ich habe 80 Runden ohne irgendein Problem abgespult.

Heidfeld: Gab es sonst noch Unterschiede?
Prost: Ja, zum Beispiel beim Sitzkomfort. Heute sitzt man ergonomisch viel bequemer in den Autos, weil die Regeln größere Cockpits vorschreiben. Und weil viel Zeit aufgewendet wird, für den Fahrer die optimale Sitzposition zu finden. Früher hieß es: Da ist dein Sitz, fahr damit.

Heidfeld: Bist du aufrecht im Cockpit gesessen?
Prost: Ja, das ging gar nicht anders. Das Auto wurde nicht für die Fahrer maßgeschneidert. 1988 oder 1989 bei McLaren hatte das Monocoque eine derartige Keilform, dass sich meine Füße zwischen den Stoßdämpfern wiederfanden. Für Senna, der größer war als ich, lagen die Dämpfer günstiger. Er hatte, so paradox das klingt, für seine Füße zehn Zentimeter mehr Platz als ich.

Heidfeld: Ist der bessere Komfort der Grund, warum die Unterschiede zwischen den Fahrern geringer sind?
Prost: Absolut. Noch vor ein paar Jahren war es sehr selten, dass sich ein Formel 1-Neuling in das Auto setzt und auf Anhieb schnelle Runden dreht.

Heidfeld: Würdest du gerne noch mal ein paar Runden im aktuellen Auto drehen?
Prost: Eigentlich nicht. Die Motivation ist weg. Was soll das bringen? Wenn ich es wirklich wollte, um mit meiner Erfahrung den Ingenieuren eine Hilfestellung zu geben, müsste es ernsthaft organisiert sein. Das heißt, dass ein Tag für die Sitzprobe draufgeht. Bis ich Rundenzeiten fahre, die eine vernünftige Aussage zulassen, vergehen zwei weitere Tage. Wir haben zu viele Probleme mit dem aktuellen Auto, als dass wir einen Tag herschenken könnten. Es würde das Team nur zurückwerfen. Und was würdest du sagen, wenn ich wirklich schnell wäre?

Heidfeld: Dann werde ich Teammanager, und du übernimmst meinen Job.
Prost: Das Dumme ist nur: Wenn ich langsam bin, verliere ich meinen guten Ruf.

Heidfeld: Nie den Wunsch gehabt, noch maI Rennen zu fahren?
Prost: Nie. Ich gehe heute ein Mal pro Jahr mit meinem Sohn auf die Kartstrecke, um Spaß zu haben. Es bringt mir aber mehr, aufs Rennrad zu steigen. Da kann ich von meinem Job abschalten.

Heidfeld: Ist dein Job als Teamchef härter als der als Fahrer?
Prost: Tausend Mal härter. Ich hatte 1996 einen guten Einblick in das Team von McLaren. Aber seitdem hat sich die Welt in der Formel 1 auf den Kopf gestellt. Unser Pech ist es, dass wir gerade in dieser Zeit der großen Veränderungen ein Team aufbauen.

Heidfeld: Was war dein größter Fehler?
Prost: Den größten kann ich dir nicht erzählen. Ich habe ihn gleich zu Beginn gemacht.

Heidfeld: Hoffentlich war das nicht meine Verpflichtung?
Prost: Keine Angst, das war eine gute Entscheidung. Mein größter Lernprozess war: zu unterscheiden zwischen den Dingen, die du tun willst, und denen, die du tun kannst. Du träumst immer von bestimmten Fahrern, Ingenieuren, Motoren oder Sponsoren. Aber die wenigsten Träume werden wahr in diesem Geschäft.

Heidfeld: Wann wird das Überholen wieder einfacher?
Prost: Ich fuhr die verschiedensten Rennautos und habe da meine eigene Philosophie. Aus dieser Erfahrung heraus glaube ich zu wissen, was das Problem sein könnte. Es ist falsch zu glauben, dass nur die Technik der Autos schuld ist. Es ist das ganze Paket, die Philosophie, die dahinter steckt.

Heidfeld: Wie meinst du das?
Prost: Zum Beispiel die Tankstopps. Oder die Frage, wie viele Reifenfirmen es gibt. Ich glaube, dass beide Dinge Schuld daran tragen, dass so selten überholt wird, und ich begrüße es, dass es 2001 zwei Reifenhersteller geben wird. Wir sollten gleichzeitig darüber nachdenken, ob wir Tankstopps noch brauchen.

Heidfeld: Du willst Tankstopps abschaffen?
Prost: Sicher kann man mit dem technischen Reglement nachhelfen, das Überholen zu erleichtern. Weniger aerodynamischen Anpressdruck, mehr mechanischen Grip. Doch zum Überholen braucht es technisch größere Unterschiede. Gib jedem Fahrer die Wahl zwischen drei unterschiedlichen Reifentypen. Dann passiert folgendes: Die einen werden mit harten Reifenmischungen starten, in der Hoffnung, mit einem Satz Reifen durchzufahren. Die anderen fahren mit ganz weichen Reifen los und wechseln drei Mal. Die dritte Gruppe pokert mit der mittleren Mischung und stoppt ein oder zwei Mal. Die Fahrer müssen viel mehr Parameter in ihre Strategie mit einbeziehen. Wer mit einem Satz durchfährt, ist dazu gezwungen, die Reifen zu Beginn zu schonen, wenn der Tank noch voll ist. Wer weiche Reifen aufgezogen hat, kann trotzdem nicht ohne Rücksicht auf Verluste losstürmen, weil er wegen des hohen Benzingewichts auf seine Bremsen aufpassen muss. Es ergeben sich also sehr unterschiedliche Autos und Strategien. Und das ist die Grundlage für Überholmanöver.

Heidfeld: Und das ist mit Nachtanken nicht möglich?
Prost: Nein, weil für jeden die Bedingungen gleich sind. Man fährt zwischen den Tankstopps Qualifikationsrunden, weil man weit weniger auf Reifen und Bremsen aufpassen muss. Ich kann nur meine Erfahrungen weitergeben. Mit den Renault-Turbos hatten wir beim Start des Rennens zwischen 220 und 250 Liter Benzin an Bord. Auf bremsenmordenden Strecken wie Adelaide oder Montreal mussten wir die ersten 20 Runden wie auf rohen Eiern fahren, damit das Auto und die Reifen bis zum Schluss durchhielten. Da gab es Situationen, wo du in Führung liegend zurückstecken musstest. Es war fahrerische Intelligenz gefragt.

Heidfeld: Warum gibt es bei den IndyCars so viele Überholmanöver? Die fahren doch auch mit Tankstopps.
Prost: Die Autos sind technisch völlig verschieden. Sie haben Stahlbremsen, mehr mechanischen Grip und handgeschaltete Getriebe. Das auf die Formel 1 zu übertragen ist schwierig. Da muss schon ein gewisses Maß an Technologie vorhanden sein, um die großen Automobilhersteller anzulocken.

Heidfeld: Was du mit dem Getriebe sagst, stimmt. Ich habe in der Formel 3000 oft Gegner überholt, weil die sich verschaltet hatten. ich würde sogar sagen, dass 50 Prozent der Überholmanöver in der Formel 3000 so zu Stande kommen.
Prost: Das war vor 15 Jahren in der Formel 1 auch noch so. Es gab viele Schaltfehler oder auch mechanische Defekte, die die Autos langsamer machten. Da verlor der Motor Leistung, die Bremsen ließen nach, oder die Reifen verloren Haftung. Wenn heute etwas kaputt geht, steht das Auto. Früher hat man sich halt mit verminderter Geschwindigkeit noch ins Ziel geschleppt.

Heidfeld: Wie groß ist bei dir die Versuchung mit deiner Erfahrung, deinen Fahrern zum Beispiel beim Abstimmen des Autos Ratschlage zu geben?
Prost: Ich gebe Tipps. Was die Fahrer daraus machen, bleibt ihnen überlassen. Ich wollte als Fahrer immer lernen. Egal, was die Ingenieure vorschlugen, ich probierte es. Nur um die Auswirkungen zu sehen. Deshalb wäre es schön, wenn du und Jean meine Ratschläge wenigstens überprüft. Durch das Feedback von euch lerne auch ich wieder dazu.

Heidfeld: Hat das Fahren für dich an Reiz verloren, als die Autos immer sicherer wurden?
Prost: Schwierige Frage. Für die Zuschauer war es früher wahrscheinlich interessanter, weil die Autos viel nervöser waren. Da konnte man noch sehen, wie der Fahrer mit dem Auto kämpfte. Ich glaube nicht, dass die Zuschauer Unfälle sehen wollen. Es gibt immer weniger schwere Unfälle, aber immer mehr Zuschauer. Für mich selbst war die Befriedigung mit den alten Autos größer. Ich meine, mit all der Turbo-Power aus dem Tunnel von Monte Carlo zu schießen und dann das Auto über die Bodenwellen zu balancieren, das war schon etwas, wo du dein Herz in beide Hände nehmen musstest. Und wie ist das bei dir?

Heidfeld: Genauso. Je schwieriger das Auto zu fahren ist, umso mehr Spaß macht es.
Prost: Die Strecken waren früher viel gefährlicher. Ich erinnere mich noch an die alte Interlagos-Strecke. Da gab es zwei überhöhte Vollgas-Linkskurven direkt hintereinander. Eine echte Herausforderung. Ich habe da mal Riccardo Patrese überholt. Wir sind fast zwei Kilometer lang mit Vollgas Seite an Seite gefahren. Daran erinnere ich mich genauer als an irgendeinen meiner Siege. Deshalb werden die Fahrer nie verlangen, dass in Spa die Eau Rouge-Kurve ausgeklammert wird. Meiner Meinung nach die gefährlichste Kurve überhaupt.

Heidfeld: Ich finde Blanchimont schlimmer. Das Kiesbett in der Auslaufzone führt bergab. Da springst du drüber. Wenn du Pech hast, fliegst du anschließend über die Leitplanken in den Wald. Ich mag Monte Carlo. Wenn mich jemand fragt, ob es wegen des Risikos ist, würde ich im ersten Augenblick vielleicht nein sagen. Aber warum sonst fahre ich dort lieber?
Prost: Weil du auf dieser Art Strecke mehr Adrenalin produzierst. Das erhöht den Spaß. Deshalb wird man ja Rennfahrer. Weil es ein aufregendes Leben ist.

Heidfeld: Ich würde nie sagen, dass ich auf einer gefährlichen Strecke fahren will. Aber das Risiko spielt eine Rolle. Mehr unbewusst als bewusst, Es gibt für mich sichere Strecken, die mir Spaß machen. Ich mag den Nürburgring mehr als Spa.
Prost: Du magst Spa nicht? Ich liebte diesen Kurs.

Heidfeld: Ich liebe Stadtkurse. Macau und Monte Carlo. Dann kommt lange nichts.
Prost: Monte Carlo mochte ich auch. Und dann die alten Strecken: Spa, Interlagos, Rio, Estoril. Andere Strecken bedeuteten mir nichts. In Hockenheim und in Monza geht es nur geradeaus mit ein paar Schikanen dazwischen.

Heidfeld: Warst du auf den Strecken, die du nicht mochtest, genauso schnell wie auf deinen Lieblingsstrecken?
Prost: Ich war nicht so gut, wie ich hätte sein können. Es hat trotzdem für Siege in Monza und Hockenheim gereicht. Aber in Rio wusste ich meistens schon vorher: Hier gewinne ich. Wenn die Temperatur nur 30 Grad betrug, war ich sauer. Ich wünschte mir 40 Grad.

Heidfeld: Was hat dir an Hockenheim und Monza nicht gefallen?
Prost: Um schnell zu sein, musste man über die Randsteine räubern. Das habe ich immer gehasst. Es tat mir weh, das Auto so zu vergewaltigen. Mir war mein Rennauto immer so heilig wie mein eigenes daheim in der Garage. Dieses Fahren über Randsteine ist auch ein inakzeptables Sicherheitsrisiko. Es provoziert Materialbrüche. Fährst du gerne über Randsteine? Du hattest beim Testen praktisch keinen Unfall oder Dreher.

Heidfeld: Das war schon in der Formel 3000 so. Ich kann meine Dreher im letzten Jahr an einer Hand abzählen. Ich bin vielleicht etwas aggressiver auf den Randsteinen, als du es beschrieben hast, aber ich passe trotzdem auf. Es hat nicht nur etwas mit Glück oder Pech zu tun, wie oft du von der Strecke fliegst. Es sind immer die gleichen Fahrer, die sich oft drehen.
Prost: Ich bin schon über die Randsteine gefahren, weil du sonst zu langsam warst. Aber eben nur zu 60 oder 70 Prozent.

Heidfeld: Was ist dein Rat an einen Formel 1-Neuling wie mich für das erste Jahr?
Prost: Du bist kein typischer Formel 1-Neuling. Du hast bereits eine gewisse Reife und brauchst weniger Hilfestellung als ein gewöhnlicher Debütant. Was ich dir raten kann: Bleib auf dem Teppich. Es wird der Zeitpunkt kommen, wo dir das alles zu Kopf steigt. Der kommt bei jedem. In einem gewissen Maß ist das gar nicht schlecht. Selbstvertrauen ist wichtig. Es darf nur nicht ausufern. Dann zerstört es dich. Sei neugierig und versuche zu lernen, wo es geht. Im Rennwagen und außerhalb des Rennwagens.

Heidfeld: Das mit dem Selbstvertrauen habe ich schon in der Formel 3000 gespürt. Wenn du selbstsicherer wirst, haben die anderen automatisch mehr Respekt. Michael Schumacher spielt diese Rolle perfekt in der Formel 1. Viele haben Respekt vor ihm und machen es ihm beim Überholen einfacher.




Back to interview-page!

To Prost-infopage!

To prostfan.com!

prostfan.com © by Oskar Schuler, Switzerland